Nachhaltigkeitsrisiken quantitativ messbar machen oder eher konfuses Rätselraten?
Die zentrale und gewichtige Schlüsselrolle der Kreditwirtschaft zur Finanzierung des European Green Deal ist laut namhaften Regulierungs- und Aufsichtsbehörden bekanntermaßen mit gewissen Nachhaltigkeitsrisiken für die hierbei zentral beteiligte Bankwirtschaft verbunden. Die anfangs lediglich umweltbezogene Ausrichtung des grünen Abkommens wurde infolge der weiter gefassten (und teilweise immer noch in der Konkretisierungsphase befindlichen) EU-Taxonomieverordnung auf die bekannte Dreigliedrigkeit Environment, Social und Governance (ESG) erweitert.
Für die deutsche Bankenlandschaft ist die Berücksichtigung jener ESG-Risiken vor allem durch die jüngsten Überarbeitungen der MaRisk zur nackten Prüfungsrealität geworden. Die zentrale Maßgabe der BaFin lautet, dass ESG-Risiken, welche potentiellen Einfluss auf die bekannten Risikoarten haben können, angemessen und explizit in der Risikotragfähigkeit berücksichtigt werden. In Bezug auf das Kreditrisiko der Institute heißt es in Erläuterungen zu den MaRisk, dass ESG-Risiken sowohl in den Ratingverfahren selbst als auch in Form separat ermittelter ESG-Scores oder -Ratings eingebunden werden können.
Die KC Risk AG setzte sich bereits Anfang 2022 mit Nachhaltigkeitsdaten für Emittenten im Eigengeschäft ihrer Mandanten auseinander, um frühzeitig Erfahrungen mit den aufsichtlichen Neuerungen zu sammeln. Das Resultat der umfassenden internen (V-)Erprobungsphase: Januar 2023 konnten die ersten finalen ESG-Berichte für die Mandanten der KC Risk AG adressatengerecht aufbereitet und versendet werden.
Grund genug mit jenen „wertvollen“ ESG-Daten im Rahmen einer Master Thesis weitere Wechselwirkungen aufzudecken. Da die voranschreitende Evolution der Bankenaufsicht durch steigende Kapitalanforderungen und Gesamtrisikobeträge perspektivisch gegen die Eigenmittelpuffer der Banken wirkt, war es das zentrale Ziel der Arbeit herauszufinden, ob ein Zusammenhang zwischen der Nachhaltigkeit von Emittenten und deren normativem Kreditrisiko (i. S. d. KSA-Risikogewichts) besteht. Und falls dem so ist, welche Schlüsse lassen sich daraus für die Steuerung der Kapitalquoten von Banken ziehen?
Das Forschungsdesign der Master Thesis orientierte sich an wissenschaftlich relevanten Veröffentlichungen, die den Zusammenhang zwischen diversen Nachhaltigkeitskennzahlen und externen Kreditratings untersuchten. Der Erkenntnisgewinn aus der Literaturrecherche stellte sich jedoch eher ernüchternd dar. Während einige Arbeiten aufzeigen konnten, dass Unternehmen mit guten ESG-Kennzahlen tendenziell ein geringeres Kreditrisiko aufweisen, kamen andere Publikationen wiederum zu gegenläufigen Erkenntnissen. Hinzukommend waren die statistischen Effekte der einzelnen Nachhaltigkeitsbereiche Umwelt, Soziales und Governance zum Teil sehr unterschiedlich stark ausgeprägt. Die regionale Betrachtung (USA, Europa oder Asien) schien zudem einen erheblichen Einfluss auf den untersuchten Zusammenhang zu haben.
Um dieser vermeintlichen Wahllosigkeit auf den Grund zu gehen, wurden in der Master Arbeit diverse Anleihen von über 200 Unternehmen und fast 40 Ländern mit Hilfe unterschiedlicher Datenquellen analysiert. Die aufwändige multiple Regression samt diverser Kontrollvariablen umfasste schlussendlich insgesamt 14 Mrd. EUR Nominalvolumen, welches sich auf knapp 6.000 Papiere verteilte. Folgende Ergebnisse konnten hierbei festgestellt werden:
Mit Blick auf Emittenten-Ratings wirkten sich gute Nachhaltigkeitswerte in den Dimensionen Umwelt und Soziales bei Unternehmen nur in einem von zwei statistischen Modellen signifikant risikoreduzierend aus. Gute Nachhaltigkeitswerte im Bereich der Unternehmensführung gingen entgegengesetzt dazu in beiden Modellen mit signifikant schlechteren Kreditratings einher.
Die Analyse unter knapp 40 Ländern brachte ein homogeneres Bild hervor: Beide Regressionsmodelle zeigten, dass Staaten mit guten Nachhaltigkeitskennzahlen bessere Kreditratings aufweisen als weniger nachhaltig eingestufte Länder.
Inwiefern diese Erkenntnisse potentielle Auswirkungen auf die RWA von Banken und somit auf deren Eigenmittelanforderung haben, wurde anschließend durch Verknüpfung der Nachhaltigkeitswerte sowie der RWA von Banken im Eigengeschäft gezeigt. Hierfür wurden die real bestehenden Depot As aller rund 70 Mandanten der KC Risk AG anonymisiert ausgewertet. Für die Nachhaltigkeitskennzahlen aller drei ESG-Bereiche konnte nachgewiesen werden, dass Anleihen von nachhaltig bewerteten Unternehmen und Staaten tendenziell geringere KSA-Risikogewichte aufweisen als die von weniger nachhaltigen Emittenten. Gemessen an der potentiellen Auswirkung auf die Eigenmittelquote, besaß die ESG-Dimension Umwelt den größten Einfluss.
Neben vorrangig regulatorischen Nebenbedingungen, welche in der Analyse bewusst vereinfachten Annahmen unterlagen, wurden am Ende der Arbeit besonders folgende Punkte näher diskutiert:
Die Verwendung von Daten anderer ESG-Ratingdienstleister führt aufgrund teils deutlicher Abweichungen bei der Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken unter Umständen zu unterschiedlichen Erkenntnissen und Wirkungszusammenhängen. Eine seit langem bekannte und übergeordnete Fragestellung bleibt somit natürlich weiterhin bestehen: Wie sollte Nachhaltigkeit und insbesondere die hieraus stammenden Risiken sinnvoll definiert, gemessen, bewertet und gewichtet werden? Und kann es hierbei überhaupt ein „Richtig“ oder „Falsch“ geben?
Um herauszufinden inwieweit ESG-Kriterien die Schätzgenauigkeit von Ratingmodellen verbessern, müsste ein weiterer Forschungsweg eingeschlagen werden. Ein in der Master Arbeit ausgeführter Vorschlag wäre es, die Trennschärfen (sozusagen die Ergebnisqualität) von Ratingmodellen sowohl mit als auch ohne ESG-Berücksichtigung langfristig zu vergleichen, um einen messbaren Einfluss jener Nachhaltigkeits-Kriterien auf das Kreditrisiko herauszustellen.
Abschließend kann festgehalten werden, dass zwar ein statistischer Zusammenhang zwischen der (wie auch immer definierten, gemessenen, bewerteten und gewichteten) Nachhaltigkeit von Emittenten (Unternehmen und Ländern) sowie deren Kreditratings besteht. Dieser muss jedoch nicht immer rein sachlogisch sein (vgl.: umso nachhaltiger die Governance, desto schlechter das Kreditrating?!). Mit Blick auf die Kapitalauswirkung kann ein konsistenter, logischer Zusammenhang dargelegt werden: In der Tendenz bindet ein nachhaltigerer Emittent geringere Eigenmittel, wenngleich dieser Effekt keineswegs kausal, sondern lediglich statistisch begründet wird.
Zu guter Letzt verbleibt jedoch die generelle Selbstkritik: Das Stochern im Ungewissen lässt sich mit bestehenden ESG-Ratings, -Scores oder sonstigen Kennzahlen methodisch sauber nicht gänzlich vermeiden. Aus ernstzunehmend wissenschaftlicher Sicht ist es sogar möglich, dass sich hieran auch in Zukunft nichts ändern wird. Wenn etwas jedoch sicher scheint, dann sind es weiterhin bankaufsichtsrechtliche Vorgaben, die im Grunde sicherlich einen tieferen Sinn verfolgen, deren Pflicht zur Einhaltung jedoch nicht immer mit wissenschaftlich untermauerter Logik einhergehen muss.